- Licht und Kraft vom "Elektricitätswerk Kocherthal" -

Strom vom Flusskraftwerk Endreß in Gochsen

Die Angst vor dem Computercrash zur Jahrtausendwende ist schon beinahe wieder vergessen. Was hat man nicht alles für Horrorszenarien an die Wand gemalt. Stromausfall - eine Katastrophe für alle Industrieländer. Von Flugzeugabsturzen und von schwerer Wirtschaftskrise war die Rede. Kerzenlicht als Notbeleuchtung zum Jahreswechsel einerseits romantisch, andererseits eines modernen Menschen unwürdig. Elektrische Energie ist halt aus dem heutigen Leben nicht mehr wegzudenken.
Dabei ist es erst knapp hundert Jahre her, daß Brettach an die Elektrizität angeschlossen werden konnte. Das war eigentlich sehr früh. Konnten doch viele kleine Gemeinden im Königreich Württemberg sogar erst nach dem I.Weltkrieg und in den 20er Jahren mit Strom versorgt werden.
Um 1900 wußte niemand, ob es sich lohnen würde, an kleinen Flüssen, wie z.B. am Kocher in Gochsen, ein E-Werk zu errichten und zu betreiben und ein Stromnetz aufzubauen.
Um so mehr ist der Wagemut und der Pioniergeist des Leonhard Endreß aus Gochsen zu bewundern, der beschloss, die Wasserkraft seiner Kochermühle nicht mehr zum Getreidemahlen zu nutzen, sondern sie in die neue Energieform Elektrizität umzuwandeln. Damit bestand für die umliegenden Gemeinden die Chance, Licht und Kraft aus dem Kochertal zu erhalten. (Neuenstadt hatte zu dieser Zeit bereits eigenes Stadtgas).
Erste Verhandlungen in Brettach über den Anschluss an das zu bauende Flusskraftwerk und über die Installation eines regionalen Stromnetzes fanden bereits 1901 statt. Die Verhandlungspartner sind einerseits die "Mitteldeutsche Elektrizitätswerke, Aktiengesellschaft in Dresden" (Abkürzung: M.E.A.) und Leonhard Endreß in Gochsen und andererseits die Gemeinde Brettach. Mit der M.E.A. zusammen will Endreß das Flusskraftwerk bauen. Am 5. März 1901 unterzeichnen die Gemeinderäte, der Bürgerausschuss und der Bürgermeister von Brettach den Vertrag. 

Die M.E.A. wollte 1901, nach einer behördlichen Genehmigung, nach längstens 7 Monaten mit der Ausführung der erforderlichen baulichen Maßnahmen beginnen. Dass sich die Elektrifizierung von Brettach noch 5 Jahre hinzog, lag z.T. daran, dass sich der Bau des E-Werks in Gochsen verzögerte. Probleme bei der Uberleitung und rechtliche und organisatorische Schwierigkeiten traten auf. 

Die Zukunft beginnt
Die Brettacher Bürger hatten also von 1901 bis 1906 Zeit, sich mit der Neuerung  auseinanderzusetzen. Einerseits herrschten gespannte Erwartung und Fortschrittsglaube, andererseits gab es auch Skeptiker:
Ist diese revolutionäre Energieversorgung vielleicht nicht doch schädlich? Wie reagieren Mensch und Vieh auf Glühbirne und Elektromotor? Schädigen die Leitungen über meinem Acker die Feldfrüchte ?

Soll ich, falls erforderlich, der Aufstellung eines Strommastes auf meinem Acker zustimmen? Welche Entschädigung gibt es dafür? Solche und ähnliche Fragen wurden in der Familie, am Milchhäusle, in den Gasthäusern und bei den sogenannten "Werkstattgesprächen", den Umschlagplätzen für Neuigkeiten und Diskussionen, erörtert. A propos "Werkstattgespräche": Im Winter wärmten sich die älteren Bauern in den Werkstätten der Handwerker auf. Grüppchenweise zogen sie oft, fast nach einem festgelegten Plan, von einer Werkstatt zur anderen. Auch bei der "Vorsitz" im Winter, wo man Verwandte und Nachbarn zu Gast hatte und bei althergebrachter Beleuchtung arn Spinnrad oder Webstuhl saß, Textilien und Geräte flickte, auch das Essen und Trinken und das Singen nicht vergaß, Schauergeschichten erzählte und Paare verkuppelte, wurde über Vor- und Nachteile der neuen Technik diskutiert. Die Zeitungen versuchten zu erläutern, welche Folgen ein Stromstoß für Mensch und Tier haben kanri und daß ein Kurzschluß Brandgefahr für Haus und Hof bedeutet. Manchem weitgereisten Wichtigtuer hörte man gespannt zu, wenn er seine "Erfahrungen", die er in den bereits elektrifizierten Städten erworben hatte, zum besten gab.
Für Beleuchtung vor der elektrischen Glühbirne waren entweder rußende und stinkende Ollampen gebräuchlich, betrieben mit Leinsamen- oder Rapsöl (Rüböl) oder Stearinkerzen aus Talg und Unschlitt (im Dialekt, "Inschtlich" = Rinderfett) oder die besseren Paraffinkerzen. Licht in Haus und Stall lieferten auch die unzähligen patentierten Petroleumlarnpen mit Docht und eingebautem Vorratsbehälter fürs Petroleum. Die erste Petroleumlampe verbreitete ab 1855 in den USA ihr relativ helles aber rußendes Licht. Das dünnflüssige energiereiche Petroleum gab es etwas später auch bei uns in allen Kolonialwarenläden zu kaufen. Der nachschiebbare brennende Docht lieferte ein für darnalige Verhältnisse brauchbares Licht. Während der Kriege im 20. Jahrhundert und in der Notzeit nach 1945 taten die Petroleumlampen bei den häufigen Stromausfällen immer noch gute Dienste. Die ersten Stearin- und Paraffinkerzen gab es ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts. Die kostbaren und teuren Kerzen aus Bienenwachs wurden meist nur an Festtagen, wie z.B. an Weihnachten, angezündet.
Es gab auch so arme Familien, die sich von alledem nichts leisten konnten; manche noch nicht einmal Streichhölzer. Man schlug Funken mit dem Feuerstein und beleuchtete noch wie zu ganz alten Zeiten das Haus mit dem Kienspan, der am Ofen angezündet wurde. 

Vom Gaslicht zur Glühbirne
Die sogenannten besseren Leute, die Reichen in den Städten, konnten sich ab etwa 1860 in Deutschland (in England einige Jahrzehnte früher) Gasbeleuchtung einrichten lassen. Zunächst in Fabrikhallen und in der Straßenbeleuchtung eingesetzt, wurden dann Hotels, Gaststätten, Säle und schließlich auch Wohnhäuser mit Gaslicht ausgestattet. Die Gaslampe beleuchtete noch lange, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, die Straßen in den Städten. Wegen des hohen Sauerstoffverbrauchs und der Explosionsgefahr verdrängte die elektrische Glühbirne sehr rasch in geschlossenen Räumen die Gaslampe. Karbidlampen, mit Azetylen betrieben, spielten nur im Industrie- und Fahrzeugbereich eine Rolle.
Der Elektrizität gelang innerhalb weniger Jahrzehnte der Durchbruch. Erste wissenschaftliche Versuche mit der Elektrizität gehen bis ins 16. und 17. Jahrhundert zurück. 1663 entwickelte Otto von Guericke eine Elektrisiermaschine und experimentierte damit. In der Folgezeit haben eine große Zahl von Forschem die Geheimnisse um die Elektrizität gelüftet. Jeder Schüler kennt heute die Forschernamen Galvani, Volta, Ohm, Faraday, Morse - um nur einige zu nennen - aus der Elektrizitätslehre als Bezeichnung für elektrische Einheiten.
Thomas Alva Edison brachte 1879 auf der Basis von Experimenten der Forscher und Erfinder vor ihm Pflanzenfasern im Vakuum durch elektrischen Strom zum Glühen. Damit war eine einigermaßen funktionstüchtige Glühbirne geschaffen. 1906 karn Osrams Glühbirne mit Wolframfaden auf Grund eines Wettbewerbs auf den Markt.
Wichtig für die Energieübertragung war die Entwicklung einer praxistauglichen Dynamomaschine durch Wemer von Siemens im Jahr 1867. Emil Rathenau baute 1884 das erste öffentliche Elektrizitätswerk. Die Industrie nutzte zuerst die neue Energie. Die ersten Dynamomaschinen wurden durch Dampfmaschinen, Motoren oder durch Wasserkraft angetrieben. Eine rentable Energieübertragung über lange Strecken war erst ab 1891 möglich. Während der Frankfurter Elektrotechnischen Ausstellung 1891 wurde erstmals Drehstrom von Lauffen am Neckar nach dem 175 Kilometer entfernten Frankfurt am Main mit hohem Wirkungsgrad mit einer Spannung von 20 000 Volt übertragen.
Auch in der Anlage von Leonhard Endreß in Gochsen arbeitete eine moderne Drehstrommaschine, gebaut von der Maschinenfabrik Eßlingen. Der Streit, ob Gleichstrom (wie z.B. in Öhringen) oder Drehstrom ging noch eine Zeitlang zwischen den Anbietern und den Fachleuten weiter. Bis 1913 sind die Diskussionen auch in unserem Raum belegbar. Schließlich ebbten die Auseinandersetzungen ab. Die Vorteile lagen eindeutig auf Seiten des Drehstroms, der, wenn er hochgespannt ist, beim Transport wenig abfällt und deshalb kostengünstiger als Gleichstrom über große Entfernungen transportiert werden kann. Außerdem treten z.B. beim Betrieb von Motoren und Elektroherden weniger Probleme auf.
Die Hersteller elektrotechnischer Anlagen, die Kundengruppen und die kommunalen Körperschaften brauchten in unserer Region mehr als ein Jahrzehnt, um sich zusammenzuraufen. Vor allem um die Führung der Starkstromleitung wurde heftig gerungen. Auf Druck von Stuuttgart haben sich die Oberämter Neckarsulm, Weinsberg und Öhringen geeinigt. Der elektrische Strom aus der Ausnützung der Wasserkraft des Neckars sollte ausschließlich der Eisenbahn dienen.
Immer wieder wurden neue Rentabilitätsberechnungen angestellt. Vor allem in den Bereichen flächendeckende Leitungsführung und Starkstrom.
Ähnlich wie heute bei der Computerisierung waren um 1900 große Unternehmen und kleine Handwerker erfrig dabei, beim Aufbau der neuen Technologie mitzurnischen, d.h. mitzuverdienen. Elektrotechnische Betriebe jeglicher Art drängten mit mehr oder weniger sinnvollen Erfindungen auf den Markt.

Der Vertrag 
In § 1 des Vertrags zwischen der Gemeinde Brettach und der M.E.A. heißt es:
"Die vorerwähnte Gemeinde erteilt hiermit der M.E.A. für das von ihr zu erbauende Elektricitätswerk 'Kocherthal' ausschließlich das Recht zur ober- oder unterirdischen Führung von Elektricitätsleitungen auf allen Straßen, Plätzen, Brücken und dergleichen im derzeitigen und zukünftigen Gemeindegebiete und zur Lieferung von elektrischer Energie zu Beleuchtungs- und sonstigen Zwecken an Private und Behörden sowie an die Gemeinde zum Zwecke der Straßenbeleuchtung (hinsichtlich welcher die Zahl der Glühlampen und etwaigen Bogenlumpen noch festzusetzen ist) auf die Dauer von fünfzig. Jahren (.. !!! ...) vom Tage der Inbetriebsetzung an gerechnet mit der ausdrücklichen Verpflichtung während der Vertragsdauer ein anderes Unternehmen für Beleuchtung oder Kraftübertragung nicht zu konzessionieren noch selbst zu betreiben ". 
Um die Änderung des letztgenannten Vertragspassus wurde bald heftig gestritten, wollten doch einige Jahre vor dem I. Weltkrieg die Gemeinden auch anderen Gesellschaften die Überleitung über Gemeindegebiet gestatten. Starkstromleitungen durften schließlich Über das Gemeindegebiet geführt werden.
Dass der Vertrag auf 50 Jahre abgeschlossen wurde, spricht für den unbändigen Optimismus der Partner, nicht ahnend was die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts für Kriege und Wirtschaftskrisen bringen würde, nach denen Verträge erneuert werden mußten.  Dass die Grundstuckseigentümer eventuell Schwierigkeiten machen könnten, dessen war man sich offensichtlich bewußt. Den schwarzen Peter dabei hatte der Gemeinderat. Im Vertrag heißt es:
" Soweit ein Eigentum Dritter in Frage kommt, deren Zustimmung nicht ohne Weiteres erlangt werden sollte, wird der Gemeinderat seinen Einfluß zur Erreichung derselben nach Möglichkeit geltend machen. Bis zur Beseitigung des Hindernisses ist das Werk berechtigt, die Stromabgabe für die betreffende Straße zu unterlassen.'' 
Tatsächlich sollen sich, laut mündlicher Uberlieferung, die Anwohner einer engen Gasse in Brettach zunächst geweigert haben, Masten aufstellen zu lassen. Man fürchtete für Heu- und Erntewagen nicht genügend Platz zu haben. Des weiteren heißt es im Vertrag: 
"Der Stromabnehmer gestattet ausdrücklich, an seinem Haus die erforderlichen Dach- oder Wandgestänge, Isolatoren und Leitungen kostenlos anbringen zu lassen, bzw. auf seinem Grundstücke die Aufstellung der nötigen Masten, Streben, Anker und die Führung der Leitung kostenlos zu erlauben. "
Das hieß: Das Dorfbild verändert sich. In einigen Häusern soll es Schwierigkeiten gegeben haben, weil die Monteure z:B. keine feste Verankerung im Dachstuhl fanden.

Das E-Werk liefert alles:
"Das Verlegen sämmtlicher Leitungen nebst Zubehörteilen innerhalb des Grundstückes, die Lieferung und Aufstellung der Glühlampen, Bogenlampen, Apparate, Motoren, Maschinen und dergl. sowie die an den Einrichtungen etwa notwendig werdenden Änderungen, Erweiterungen und Lieferung der jeweiligen Ersatzstücke und des Betriebsmaterials (Glühlampen, Kohlenstifte, Motorbürsten) erfolgen ausschließlich durch das Elektrizitätswerk auf Antrag und für Rechnung der Abnehmer. ... Maurer-, Schlosser-, Maler-, Tischler-, oder Zimmererarbeiten sind von der Lieferung des Elektricitätswerkes ausgeschlossen. " 
Laut Vertrag waren alle ans Netz angeschlossene Stromkunden verpflichtet, alles Zubehör und Gerät, sogar die Glühlampen, im E-Werk zu kaufen. Diese Verpflichtung und die strenge Vorschrift, dass aus naheliegenden Gründen nur vom E-Werk lizensierte und ausgebildete Monteure (Elektriker war ein neuer Beruf!) das Netz aufbauen und reparieren durften, führte nach kurzer Zeit zu Schwierigkeiten. Die "Tüftele" (heute würde man von Hobby- oder Heimwerkern sprechen) reparierten oder installierten für wenig Geld oder aus Nachbarschaftshilfe die Einrichtungen ohne Entgelt. Kam das E-Werk dahinter, wurde mit dem Gericht gedroht.

Die Kosten
Der Preis für die Lieferung elektrischen Strom s für Beleuchtungszwecke betrug 6 Pfg. pro Hektowattstunde (1 Hektowatt = 100 Watt; 1 Kilowatt = 1000 Watt). Hiernach kostete jede Brennstunde
einer l0kerzigen Glühlampe = 30 Watt 1,80 Pfg. 
einer 32kerzigen Glühlampe = 100 Watt 6,00 Pfg.

Für die damaligen Verdienstverhältnisse ein hoher Preis. Viele einfache Landbewohner konnten sich nur 15 Watt oder 30 Watt Glühbirnen leisten. Der gewerbliche Strom kostete 2,5 Pfg. pro Hektowattstunde. Im Jahr 1906 erhielt ein Waldarbeiter als Taglöhner ca. 12 Reichsmark Wochenlohn. Bei einer Brenndauer im Winter von 28 Wochenstunden war für eine 30 Watt Glühbirne 50 Pfennig für den reinen Strompreis zu bezahlen, andere Kosten nicht eingerechnet. Kleinere Anlagen, z.B. Haushalte, wurden gegen Pauschalsummen angeschlossen. Der Verbrauch wurde anhand einer Tabelle ermittelt.

Die Leistung der Glühbirnen und Elektrogeräte und die Anzahl der Brennstellen wurde monatlich von einem Kontrolleur überprüft. Eine vertragswidrige Anwendung von Glühlampen mit höheren Wattstärken berechtigte das E-Werk entweder rückwirkend eine höhere Pauschale zu verlangen oder einen Zähler zu setzen, dessen Einrichtung Miete kostete. Wer nicht bezahlte, dem Beamten des E-Werks den Zutritt verweigerte, die Plomben am Zähler entfernte oder bei Pauschalzahlung stärkere Verbraucher einsetzte als erlaubt, dern konnte der Strom abgestellt werden.
Das E-Werk wies diese ersten Verbraucher ausdrücklich darauf hin, daß bei einer Erwärmung der Leitungsdrähte sofort die Sicherung herauszunehmen ist. Trotzdem wurden gerade in dieser Anfangszeit die Leitungen infolge Uberlastung des öfteren zerstört, nicht zuletzt deshalb, weil häufig geflickte Sicherungen die Drähte überlasteten. Meist ging es glimpflich ab, aber einige Brandfälle gab es doch. Über Todesfälle durch Stromstoß ist nichts bekannt.
Auf das einfache Volk kam viel Neues zu; für manche zu viel. Es gab Fragen über Fragen: Was darf man anfassen? Wo droht besondere Gefahr? 
Trotz allem haben sich die Leute schnell an den größeren Komfort und die Arbeitserleichterung gewöhnt.


Zum Stromanschluß Brettachs meldete damals die Neckar-Zeitung folgendes:


Der "Edison" - Oder: Wie man das E-Werk beschummelt

Trotz aller anfänglichen Schwierigkeiten brachte der elektrische Strom dem bäuerlichen Volk mehr Annehmlichkeit und Arbeitserleichterung: Beleuchtung in den Straßen, im Haus, im Stall, in der Scheune und in den Werkstätten, Elektromotoren für die bislang handbewegten Maschinen, Arbeitshilfen im Haushalt.
Auf viele bargeldarme Bauern und Kleinhandwerker, auf die Selbstversorger, kamen neue Belastungen zu. Wehe, es ließ jemand das Licht unnötig lange brennen. Dann gab's Schelte. Wir Heutigen müssen das Energiesparen - aus anderen Gründen - erst wieder lernen.
Sehr bald nach der Elektrifizierung haben überall die pauschal angeschlossenen Verbraucher versucht, die E-Werke zu beschummeln. Nicht dass sie die Anzahl der Brennstellen erhöhten; das wäre dem monatlich erscheinenden Kontrolleur sofort aufgefallen. Es gab andere Tricks. Dazu ein Beispiel, bestätigt von Harald Endreß, dem Enkel von Leonhard Endreß:

In dieser Anfangszeit gab es noch ganz wenige Steckdosen in den Häusern, denn auch für diese "Zapfstelle" mußte pauschal bezahlt werden, zusammen mit den Elektrogeräten. Aber wie überlistete man das E-Werk? Ganz einfach. Man kaufte mit den Nachbarn zusammen z.B. ein elektrisches Bügeleisen - eine große Arbeitserleichterung gegenüber dem schweren Kohleeisen - und besorgte sich am E-Werk vorbei einen sogenannten "Edison". Wie sieht so ein "Edison" aus? Nun, es ist ein Porzellankörper mit einem Glühbirnengewinde, einer Glühbirnenfassung und zwei Steckdosen, alles in einem Gerät. Das Glühbirnenaußengewinde wird in die Deckenlampenfassung eingeschraubt, nach unten weist jetzt die Glühbirnenfassung. An zwei gegenüberliegenden Seiten befinden sich, leicht nach unten geneigt, zwei Steckdosen. Man schraubt die an der Deckenlampe zuvor entfernte Glühbirne in den "Edison" ein und setzt diesen in die Deckenlampenfassung. Man hat damit Beleuchtung und zwei Steckdosen. Nun konnte die Hausfrau z.B. Wäsche bügeln. Das Gemeinschaftsbügeleisen machte am Abend, wenn man sicher war, dass kein Kontrolleur mehr kam, in der Nachbarschaft die Runde. Auch andere tagsüber versteckte Geräte wurden ausgerechnet abends in der Spitzenverbrauchszeit benützt. 
Der Kraftwerksbetreiber wunderte sich über den hohen abendlichen Strombedarf. Man kam den "Sündern" aber bald auf die Schliche und drohte mit der Installation eines Zählers, was mit Kosten verbunden war. Strafrechtliche Maßnahmen waren ein weiteres Druckmittel. Es war übrigens verboten, abends nach Einbruch der Dunkelheit die E-Motoren zu betreiben, weil sonst das Licht flackerte. Auch dieses Verbot wurde häufig übertreten, weil halt abends die Futterschneidmaschine gebraucht wurde.
Ein seltenes Dokument, nämlich der Ausschellzettel für den Polizeidiener (Büttel), auf dem die Bekanntmachung steht, daß der Kraftwerksbetreiber Endreß strafrechtlich gegen den Stromklau vorgehen werde, ist im Archiv erhalten. Zweimal, einmal 1908 und noch einmal 1912 mußten alle am E-Werk Gochsen angeschlossenen Gemeinden ausschellen lassen, daß Stromklau kein Kavaliersdelikt ist. Manche naive Zeitgenossen meinten halt, das Kocherwasser treibe die Turbinen doch sowieso an.

Ausschellzettel von 1908 und 1912 

Das Elektrizitätswerk Gochsen bringt seinen Stromabnehmern, welche keine Zähler haben und nach Pauschalsumme bezahlen, hiermit zur Kenntnis, daß vertragsmäßig nur diejenige Lichtkerzenstärke gebrannt werden darf, welche bezahlt wird Diejenigen Stromabnehmer, welche Bügeleisen besitzen und solche ausleihen, sind ebenfalls strafbar. Ich mache darauf aufmerksam, daß bei einer Kontrolle Zuwiderhandlungen gerichtlich verfolgt werden. Gleichzeitig werden die Motorenbesitzer darauf aufmerksam gemacht, daß laut Vertrag die Motoren nur bei Tagesstunden laufen dürfen, Zuwiderhandlungen werden bestraft.
 Der Elektrizitätswerkbesitzer Leonhard Endreß; Gochsen, den 13.Dez. 1912 

Ein Leben ohne elektrischen Strom ist heute undenkbar. Wir Wohlstandsbürger, von der Technik verwöhnt, nutzen in allen Lebensbereichen diese saubere Energieform, meist ohne darüber nachzudenken, wieviel Erfindergabe und Entwicklungsarbeit nötig waren, um in Wohlstand und Luxus leben zu können. 

aus "Rückblicke" des Heimatgeschichtlichen Vereins Langenbrettach e.V. [Nr.64-67]
Verfasser: Herbert Schlegel 
Zeichnungen: Barbara Schlegel 
Auskünfte: Harald Endreß und Adolf Simpfendörfer